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Kdo jsem

HRP - Tag 6

Gedanken über Camino und seine Kraft

12.8.2024

Heute fühle ich mich super, Pasta, Schnitzel und Pommes-frites fliessen durch meine Adern und geben mir eine übermenschliche Kraft.  Ich lege das Schildkrötentempo beiseite und werde eine Antilope.

Gedanken über den Camino 

Um 6 Uhr morgens wache ich auf zu Tonen der christilichen Psalmen, die in den Lautsprechern der Herberge die Rolle des Weckers übernehmen. Dann geht langsam das Licht an, ich springe aus dem Bett und begrüsse zusammen mit den anderen Pilgern mit Freude den neuen Tag.

Ich meine es ganz ernst, es war ein wirklich schönes Aufwachen. Ein Herr hat uns sogar mit seiner super schönen Stimme ein Lied gesungen und uns einen guten Tag gewünscht. Es hat mir wirklich gut gefallen. Wenn man bedenkt, was für eine lange Strecke ich an diesem Tag gelaufen bin, kann man sagen, dass ich eine Portion des kollektiven Enthusiasmus mitgenommen habe, sowie eine naive, aber schöne Vorstellung davon, dass am Ende alles gut wird und alle Pilger meine Freunde sind. Ich fange an zu verstehen, warum so viele Menschen den Camino machen.

Ich bin die Einzige, die sich das Frühstück selbst zubereitet. Die anderen kaufen Kaffee und Sandwich in Plastikverpackung aus dem Automaten, oder gehen in die Bar frühstücken. Ich freue mich über meine Kultur und dass ich mich nicht mit einem Automaten zufrieden gebe. Auch wenn es mehr Zeit und deutlich mehr Platz im Rucksack in Anspruch nimmt. 

Ich bin nicht ganz sicher, ob es “legal” ist, in der Herberge zu übernachten, wenn ich nicht den Camino mache. Aber es war nirgends etwas darüber geschrieben und ich war so erschöpft, dass ich lieber keine Fragen stellte und einfach nur ein Bett wollte. Ich bekam aber einen Pilgerausweis zum Stempeln sammeln. Den werde ich zwar nicht benutzen, aber seine wasserdichte Hülle finde ich nützlich. Ich hoffe, ich komme dafür nicht in die Hölle, VERZEIHUNG!

Der gesamte Camino ist wunderschön, mit ausgeschilderten Notunterkünften und Solar-Posten, von welchen die Pilger Hilfe rufen kann. Auf diese Weise wird der Camino einer grossen Zahl von Menschen zugänglich gemacht, die sich sonst nie auf eine solche Wanderung begeben würden. So wie Elektrofahrräder aus Stubenhockern begeisterte Radfahrer machen. Und das gefällt mir. 

Über die Kraft der Pasta, den baskischen Nebel und den Charakter der HRP

Am Morgen mache ich meinen Rucksack wieder leichter. Feuchte Tücher, Gesichtscreme, Muskelcreme und ein Buch bleiben in der Herberge. Es bringt mir fast Tränen in die Augen, das Buch hier zu lassen, aber es ist einfach zu schwer. Ich kaufe es wieder, wenn ich zurückkomme, denn ich möchte es wirklich zu Ende lesen. 

Ich laufe um 7:22 Uhr los, heute habe ich viel Energie und laufe die bisher längste Strecke. Nach den ersten sonnigen Stunden komme ich in den Nebel, wo ich bis am Abend bleibe. Ich navigiere, indem ich alle 10 Minuten das GPS checke, denn manchmal SEHE ICH GAR NICHTS. Die Aussicht kann man sich nur vorstellen. Ich stelle sie mir wunderschön vor :) 

Langsam gewöhne ich mich an HRP und fange an zu verstehen, welche Route auf der Karte was bedeutet. Die gestrichelte Linie bedeutet, dass es wahrscheinlich keinen Weg geben wird. Eine verdächtig gerade gestrichelte Linie bedeutet, dass ich über eine Wiese oder auf einen Hügel gehen werde, meistens senkrecht zu den Höhenkurven. Das heisst klettern mit gespreizten Beinen, den Fersen nach innen und den Zehen nach aussen gerichten, wie ein Bergsteiger aus dem Himalaya. Das passiert hier WIRKLICH HÄUFIG.

Typisch ist auch, dass der Weg zwar vorhanden, aber schräg und zugewachsen ist, so dass man ihn kaum sieht. Ich laufe dann wie ein menschlicher Rasenmäher mit Stöcken und Schienbeinen anstatt Messern. Das passiert hier AUCH WIRKLICH HÄUFIG.

Weil ich dank dem Schnitzel heute so viel Kraft habe, laufe ich über dreissig Kilometer. Ausserdem sollen heute Nacht Gewittee kommen, und ich entscheide, über einen weiteren Hügel bis zum nächsten Tal und zum nächsten Refugio zu kommen, anstatt um 16 Uhr aufzuhören. So komme ich erst kurz vor 20 Uhr auf dem Biwakplatz an. Am Schluss schlafe ich im Zelt mit dem Gedanken, es nach dem Bergwind auch noch in einem Berggewitter zu testen. Ich stelle es der Windrichtung entlang  auf und hämmere die Heringe mit einem Stein so tief wie möglich in den Boden. Zur Beruhigung setze ich mir als Ziel, im Notfall und bei einem fehlgeschlagenen Test ins Refugio umzuziehen. 

Der Ort ist wirklich schön. Wanderer können hier kostenlos biwakieren, es gibt ein Bad, Strom und eine HEISSE DUSCHE !! Ich verbringe gute zwanzig Minuten unter der Dusche, esse, stecke die Ohrenstöpsel in die Ohren, bitte die Elemente um Gnade und schlafe ein. 

Roncesvalles – Abri Aterbea / 32,2 km / +1636 m / -1580 m

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