Nebel
Ich bin in einer Wolke und sehe einfach gar nichts. Heute soll es den ganzen Tag zwar trocken, aber hässlich bleiben. Da ich bei diesem Wetter nicht das schwierige Stück gehen kann, das ich gerade vor mir habe, weiss ich, dass ich nur ein kurzes Stück bis zur nächsten Schäferhütte gehen werde, wo ich den nächsten Tag und besseres Wetter abwarten werde. So gehe ich langsam durch den nassen Nebel, sehe nichts und denke nach.

Bin ich mutig?
Die meisten Leute, die ich unterwegs treffe, sagen mir, dass ich sehr mutig bin, wenn ich diesen Trail alleine gehe. Aber ich fühle mich überhaupt nicht mutig !! Jedesmal antworte ich, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich mutig oder völlig dumm bin. Das bringt sie immer zum Lachen und dann werden sie ernst. Es ist also der perfekte Anfang unvergesslicher Begegnungen und ehrlicher Gespräche.
Meine Angst und ich, zusammen
Die Wahrheit ist, dass ich nicht hier bin, weil ich mutig bin, sondern weil ich Angst habe. Ich habe Angst vor so vielen Dingen und manchmal denke ich, dass ich vor allem Angst habe !! Aber jetzt fürchte ich vor allem die Einsamkeit und die Tatsache, dass ich es nicht alleine schaffe. Und deshalb bin ich hier, um mich in die Einsamkeit und die Angst zu vertiefen, und entweder brechen sie mich oder ich sie :))
Na ja, nicht ganz. Ich hoffe eher, dass wir, anstatt uns gegenseitig loszuwerden, ZUSAMMEN LEBEN lernen. ZUSAMMEN, NICHT JEDER FÜR SICH. Wir werden uns also füreinander interessieren, wir werden offen miteinander reden, wir werden wissen, wie wir uns gerade fühlen und was wir voneinander brauchen. MEINE ANGST UND ICH. Wir werden nicht gegeneinander sein, sondern wir werden unsere Probleme und Unsicherheiten ZUSAMMEN LÖSEN.

Ich mag es nicht, Angst zu haben, und die Angst mag es nicht, wenn ich ihr widerstehe. Wir haben also einen KONFLIKT :)) Wenn wir nur gegeneinander sind, werden wir nie etwas lösen. Wir müssen uns also entgegenkommen, damit beide Seiten glücklich sein können. Das ist aber nicht gerade meine Stärke, denn ICH HABE ANGST VOR KONFLIKTEN !! Ich habe mich aber entschieden, die Angst aufzunehmen, ihr LIEBE ZU GEBEN. IHR ENTGEGENZUKOMMEN. Zu lernen, was sie von mir braucht, damit sie mich nicht angreift und ich mich nicht verteidigen muss. DAMIT SIE MICH NICHT ANSCHREIT, GERADE WENN ICH AM MEISTEN ANGST VOR IHR HABE.
ICH ENTSCHEIDE, MICH NICHT MEHR VOR DEN KONFLIKTEN MIT ANGST ZU FÜRCHTEN !!
HRP ist ein guter Ort dafür, denn hier bekome ich Angst etwa hundertmal am Tag. Ich werde ständig von irgendwelchen Ängsten angeschrien: habe ich genug Wasser? wird das Wasser wirklich da sein? ich bin zu langsam und werde es nicht schaffen! im September wird es kalt und es wird anfangen zu schneien! Läden, die nur im Sommer geöffnet sind, werden schliessen! das Essen wird mir ausgehen! der Wind wird nachts blasen und mein Zelt zerstören! die Geräusche in der Nacht… was war das? eine Maus kommt in den Abfallsack rein! es ist zu gefährlich hier, sollte ich nicht lieber zurückkehren? schaffe ich es, bevor es dunkel wird? ich werde keinen Platz zum Schlafen finden! das Handy wird leer! die Powerbank wird leer! ich werde wieder weinen! niemand mag mich! ICH BIN GANZ ALLEIN AUF DER GANZEN WELT !!

Nun, das sind nur die häufigsten täglichen Krisen :)) Sie schreien mich mehrmals am Tag an und ich muss jedes Mal mit ihnen SOFORT FERTIG WERDEN. Denn ich kann nicht laufen und mich von der Angst beherrschen lassen, dass mit der Fuß ausrutscht! Denn dann wird er mit Sicherheit ausrutschen, WEIL DIE ANGST ES MIT UNS MACHT, WENN WIR SIE LASSEN !!
Wir reden, weisst du
Ich unterhalte mich hier also die ganze Zeit freundlich mit meiner Angst. Ich frage sie, was sie von mir braucht und was ich für sie tun kann. Ich höre ihr zu, und sie spürt, dass ich sie wahrnehmevund dass es mir nicht egal ist, wie es ihr geht. DASS ICH IHR ZUHÖRE UND SIE NICHT IGNORIERE !! WIR SUCHEN ZUSAMMEN NACH EINER LÖSUNG ZU EINEM KONFLIKT, VOR DEM ICH NICHT WEGLAUFE !!

Wenn ich sie abwehre und ihr sage: «Angst, du hast schon wieder Angst vor etwas», dann schreit sie mich an. Weil ich sie ignoriere. Und sie wird mich kontrollieren, und ich werde Angst vor ihr haben. ICH WERDE ANGST VOR MEINER ANGST HABEN !!
Sich sofort regulieren und nicht erst in drei Tagen
Ich muss sagen, es ist eine tolle Übung, und ich will lernen, auch im Alltag so zu sein, also wenn ich nicht gerade auf einen Berg steige.
ICH KANN ES MIR HIER NICHT LEISTEN, DREI TAGE LANG ANGST ZU HABEN, dass mir eines Tages in zwei Wochen das Essen ausgeht! ALSO LÖSE ICH ES JETZT. Ich rede mit der Angst und wir machen etwas ab.

Wir haben immer weitere Möglichkeiten
Wenn uns das Essen ausgeht, haben wir weitere Möglichkeiten. Wir können unsere Portionen verkleinern und so einen weiteren Tag überstehen, weisst du, Angst.
Wenn das nicht geht, weil wir viel gelaufen sind und wirklich Hunger haben, können wir versuchen, unterwegs im Refugio zu essen, weisst du, Angst.

Wir haben bereits zwei Lösungen für unser Problem! Und wenn es dir immer noch nicht gefällt, Angst, können wir ins Tal absteigen und so schnell wie möglich zum Restaurant und zum Laden kommen, weisst du.
Die Angst stimmt zu, dass das ein guter Plan ist, und ICH HÖRE AUF ANGST ZU HABEN!
Ich wünsche mir, IMMER so mit meiner Angst zu reden und mich schnell zu regulieren !! Denn dann fühle ich mich ruhig und IN SICHERHEIT. Ich bin präsent, mein Körper, mein Geist und meine Gefühle sind GEMEINSAM HIER und nichts stresst mich.
Ich verspreche mir, es so lange zu lernen, bis ich es kann. Und wenn ich auf einen weiteren Berg hoch komme, SCHREIE ICH ES AUF IHN AUS !!

Die Hütte und die Maus
Den ganzen Nachmittag war niemand hier und überall ist Nebel. Ich und die Hütte sind allein in der Mitte der Wolke. ABER IN DER HÜTTE IST EINE MAUS! Ich schreie und stampfe auf sie ein, aber es ist ihr egal. Sie will sich nicht bewegen. Wahrscheinlich sieht sie in meinen Augen, dass ich ihr nichts tun werde, und damit hat sie recht. Also werden wir heute Nacht hier zusammen schlafen, weisst du.


Ich frage Angst, was sie darüber denkt, wenn wir hier mit einer Maus schlafen. Ich packe das Essen in meinen Rucksack, so gut ich kann, weisst du, Angst. «Okay, das schaffen hier.»
Ein paar Mal wache ich auf, weil ich denke, die Maus zu hören, wie sie mein Essen frisst, und kontrolliere den Rucksack. Aber ich sehe die Maus nicht.
Cabane d’Estaubé – Cabane des Aires / 12,7 km / +627 m / -274 m