Schon gestern, als ich vom GR11 abbog, veränderte sich der Trail sofort in einen steilen Anstieg durch große Grasbüschel und Steinfelder. Solchem Terrain folge ich seit dem Morgen bis zum Col d’Aygues Tortes, 2687 m.
Entscheidungen
Vom Pass aus steige ich zuerst ein wenig ab und LAUFE DANN LANGE GERADE UND FLACH, weder bergauf noch bergab !! bis zum See Lac de Caillaouas mit seiner großen Staumauer, wo ich eine Entscheidung treffen muss. Denn für den Nachmittag ist ein Gewitter angesagt, und ich stehe kurz davor, die ersten zwei hohen Pässe auf fast dreitausend Metern zu überqueren.
Am See in der Sonne esse ich zu Mittag und versuche, die richtige Entscheidung zu treffen. Der wolkenlose blaue Himmel deutet überhaupt nicht auf ein Gewitter hin, das mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit gemeldet ist. Ich beschließe, trotzdem hier zu bleiben.
Warten auf den Sturm
Seit dem ersten Tag erzählen mir die Leute hier von den berühmten pyrenäischen Gewittern. Sie sind es, die allen Aktivitäten in den Bergen hier einen wirklich abenteuerlichen Charakter verleihen, und ich habe nur sehr wenig Lust, eins davon GERADE AUF ZWEIEINHALB TAUSEND METERN ZU ERLEBEN :))
Es gibt ein kleines Refugio hier, ich sitze auf einer Bank und trockne alle nassen Sachen in der Sonne. Der Plan ist klar: Ich warte hier den ganzen Nachmittag, und wenn der Sturm vorbei ist, gehe ich etwa anderthalb Stunden weiter zum See und Biwakplatz.
Das war ein wirklich toller Plan. Außer, dass ES ÜBERHAUPT NICHT GEREGNET HAT !!
Nach vier Stunden WARTEN AUF EINEN STURM, DER NICHT GEKOMMEN IST, koche ich das Abendessen. Da ich morgen einen langen Tag vor mir habe, verwöhne ich mich selbst und mache mir die letzte Packung meines Vorrats an gefriergetrockneten Lebensmitteln, damit sich der morgige Tag wie nach einer Woche Erholung in einem Fünf-Sterne-Hotel anfühlt :)
Lichtshow
Nach einem kurzen Aufstieg komme ich am Lac des Isclots an, wo bereits ein Zelt aufgebaut ist. Ich gehe mich mit meinem Nachbarn anfreunden, er heisst Graeme, kommt aus England und hat die ganze HRP vor drei Jahren gemacht! Da ich bereits zu Abend gegessen habe, habe ich nichts anderes zu tun als das Haus zu bauen, und so unterhalten wir uns mit Graeme. Er ist mir sehr sympathisch, er macht diesmal Ferien hier, um all die Gipfel zu besteigen, die er während seiner HRP nicht bestiegen hat. Die HRP ist ihm also nicht dermassen zuwider geworden, dass er nicht mehr zurückgekommen wäre, was ich als gutes Zeichen auch für den Rest meiner Reise ansehe :))
Nach einer Weile beginnt der bereits verdunkelte Abendhimmel sich aufzuhellen. NICHT DURCH DIE SONNE, SONDERN DURCH BLITZE! Der ganze Himmel über uns ist voller Blitze und es ist wunderschön. Gleichzeitig sind die Blitze sehr hoch und weit weg, und weder Graeme noch ich machen uns Sorgen.
Als uns kalt wird, sagen wir uns gute Nacht und gehen jeder in sein eigenes Haus schlafen, das wir für eine Nacht in einem schützenden Kreis aus kleinen Steinmauern gebaut haben.
Kurz vor dem Col d’Aygues Tortes – Lac des Isclots / 12 km / +1098 m / -989 m
