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HRP - Tag 26

Die Hälfte des Trails und die neue grosse Angst

01.9.2024

Erst um 18 Uhr werde ich den Bus von Benasque zurück zum Trail nehmen, also habe ich noch fast einen ganzen Tag Zeit in der Stadt. Abgesehen von ein paar kleinen Pflichten, wie Essen für die nächsten Tage kaufen oder ein Restaurant mit grossen Portionen finden :), bin ich frei.

Im Sportladen haben sie Riegel der Marke Chimpanzee, die aus Tschechien kommen !!, und ich liebe es, wie sie schmecken und aussehen. Die Verpackung ist schön gestaltet und für mich sind es die leckersten Riegel auf dem Markt :) Ich kaufe zwei, um mich für schwierige Tage einzudecken. Ich kaufe auch echtes Brot für das Mittagessen an nächsten Tagen, es ist zwar schwer, ich denke aber nicht, dass ich eine weitere Woche mit zerknittertem Toastbrot und Tortillas hinkriege, ohne eine kleine Pause einzulegen :))

Essen!

Ich habe ein Restaurant mit einem dreigängigen Mittagsmenü gefunden, wo ich endlich gut essen kann. Das Essen ist zudem normal gekocht, keine frittierten Tapas oder Fisch in Essig wie sonst überall in der Stadt! Das Mittagessen beende ich mit einer Crêpe mit Eis und FÜHLE MICH ENDLICH EIN BISSCHEN SATT !! :)) Den Rest des Tages schreibe ich Artikel für euch und lade sie hoch.

Die Hälfte des Trails

Benasque liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Atlantik und dem Mittelmeer, das bedeutet also, dass ich in der Hälfte des Trails bin, und ich überlege mir, wie sich diese Tatsache auf mich auswirkt.

Natürlich bin ich froh, dass ich schon so ein grosses Stück der Strecke gelaufen bin, aber ich feiere oder freue mich bestimmt nicht, auch wenn meine Haare sauber sind und ich Eis gegessen habe :) 

Am Anfang hatte ich Angst, dass ich es überhaupt nicht schaffen und mich fest allein fühlen würde. Eine Frau ganz allein in den grossen Bergen, welche sie nicht kennt, die von einem Murmeltier gebissen, von einer Kuh zertrampelt und von einem Bären gefressen wird. Aber davor habe ich keine Angst mehr und ich fühle mich hier wirklich überhaupt nicht einsam.

Die neue grosse Angst

Ich bin auf halbem Wege, also gehe ich nicht mehr in die Berge, auf ein neues Abenteuer, auf eine grosse Reise, sondern ICH GEHE AUS DEN BERGEN, die jetzt immer kleiner und kleiner werden. Ich entferne mich vom Ozean, nähere mich dem Meer, und mein bereits halbleeres Glas der grossen Reise wird mit jedem weiteren Schritt leerer. Ich fürchte mich vor dem Moment, wenn ich ihren Boden sehe, den letzten Kilometer gehe, den letzten Schluck trinke, es vorbei ist und ich nach Hause zurückkehren muss. 

ABER ICH HABE KEIN ZUHAUSE !! Alles, was ich habe, ist ein Pflaster über dem Herzen, das Trail mir gegeben hat und das nicht sehr gut hält, und eine Wohnung, in der die Hälfte der Sachen fehlt. Ich möchte fliehen, zurück dem Trail entlang, damit ich wieder in der ersten Hälfte sein kann. Aber das geht nicht und außerdem BIN ICH HIER, WEIL ICH NICHT MEHR FLIEHEN WILL !!

Also erkenne ich die neue große Angst, die zwar von Anfang an da war, aber jetzt hat sie sich wild von den Zügeln gelöst und fordert laut zugehört zu werden. Ich begrüsse sie schüchtern und SIE BRÜLLT MICH AN MIT IHRER GANZEN FRUSTRATION UND UNZUFRIEDENHEIT davon, dass ich sie die Hälfte des Trails ignoriert habe. Jetzt habe ich also den Rest des Trails Zeit, den Konflikt mit meiner neuen großen Angst zu lösen und aufzuhören, mich davon zu fürchten, in das alltägliche Leben zurückzukehren. AUFZUHÖREN, ANGST ZU HABEN, NACH HAUSE ZU GEHEN.

Zuhause auf dem Trail

An der Bushaltestelle esse ich zwei süsse Vanillepuddings, um mir Mut zu geben, werfe die Verpackungen weg, und zwanzig Minuten später setzt mich der Busfahrer am Hotel Benasque Hospital ab, wo ich gestern früh angekommen bin und von wo aus ich in die Stadt getrampt bin. Ich gehe auf die Toilette ins Hotel und für eine Weile habe ich Lust, da zu bleiben, denn es ist wunderschön hier. Der ganze Innenraum ist mit dunklem, geschnitztem Massivholz ausgekleidet, auch die Möbel sind so, und es riecht nach Bergkräutern und Kiefernholz wie in einer Sauna. Es riecht nach NÄHE, SICHERHEIT UND ZUHAUSE.

Entschlossen gehe ich von hier weg, und mit meinem eigenen Zuhause auf dem Rücken, laufe ich die ersten Kilometer der zweiten Hälfte des Trails.

Nach einer Weile fange ich an, mich sehr gut zu fühlen und lächle den Trail an, der mich mit seiner großen steinernen Hand umarmt, mir Nähe gibt und MEIN ZUHAUSE IST. Ich freue mich darauf, heute Nacht wieder im Zelt zu schlafen, in Sicherheit, ZUHAUSE AUF DEM TRAIL.

Den Biwakplatz für heute Nacht erreiche ich zur gleichen Zeit wie die Nacht und der Sturm. Ich baue das Zelt mit der Stirnlampe auf, als die ersten großen Tropfen fallen. Diesmal ziehe ich es vor, die Trekkingstöcke in die Büsche in der Nähe zu werfen, um ruhig schlafen zu können. Ich krieche ins Haus hinein, draußen gießt es in Strömen und in der Ferne blitzt es. Ich schließe die Tür und fange an, mich in dem schon mehrfachen nächtlichen Gewitter wirklich wie zuhause zu fühlen :))

Benasque Hospital – Plan d’Aigualluts / 6,5 km / +388 m / -97 m

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