Sun, Here I Come

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Kdo jsem

HRP - Tag 29 Teil 1

Es regnet, es schüttet oder Wie viele Kilometer muss ein Mensch laufen, um sich selbst wieder zu mögen?

04.9.2024

Ich mache Frühstück und draußen regnet es. Gestern Abend hat es angefangen und seitdem hat es nicht mehr aufgehört. Als ich nach dem Frühstück im Zelt alle Sachen in den Rucksack stopfe, der ein langer, schmaler Schlauch ist, so dass nur Yogis und Akrobaten es schaffen, im Zelt zu packen, habe ich das Gefühl, dass der Zeltboden zwar trocken, aber irgendwie zu kalt ist. Wie auch immer, es ist wohl einfach Herbst und draußen wird es kälter ??

So, ich habe zusammengepackt und zum Weggang bleibt nur der letzte Schritt: herauskommen :)) Ich mache ein paar Selfies, um Mut zu fassen. 1. Ich habe wirklich keine Lust in das Ekelwetter hinauszugehen (dieser Zustand ist nicht weit von der Wahrheit entfernt … aber quengele nicht die ganze Zeit!) 2. Hahaha, ich liebe es hier so sehr und heute wird es zudem den ganzen Tag regnen, juhu! (Autosuggestion funktioniert bei mir heute nicht) 3. Den ganzen Tag hier liegen mag ich auf keinen Fall, also lass uns gehen. (harte Realität)

Pyrenäische Flut und neue Diktatur

Ich krieche heraus und verstehe endlich, warum der Zeltboden so kalt ist. Das kleine Seeli, das gestern noch mindestens zehn Zentimeter Platz bis zum Rand hatte, ist übergelaufen und FLIESST NUN DIREKT UNTER MEINEM ZELT !! Es ist höchste Zeit, von hier wegzugehen.

Es regnet. Die Cumulus Nimbus haben auf völlig undemokratische Weise die Kontrolle über das Wetter ergriffen, die Wahlen mussten nicht einmal manipuliert werden, weil es keine gab! Wen interessiert schon die Meinung der Wanderer, die heute den ganzen Tag in dem Unwetter laufen müssen ?? Allerdings stört mich der Regen nicht so sehr und zu meinem eigenen Erstaunen bin ich gut gelaunt. Ich habe die neue Diktatur wirklich schnell akzeptiert!

Kamele und die Müllkippe

Ich treffe Grüppchen von Wanderern und es ist hier heute wie eine Messe mit Outdoor-Regenausrüstung. Die Auswahl ist wirklich groß und es ist für jeden etwas da! Es gefällt mir wirklich sehr, dass die Leute hier sind. Anstatt aufzugeben und irgendwo im Trockenen zu bleiben, haben sie sich bunte Regenmäntel angezogen und marschieren über die Berge, mit Ponchos übergezogen über ihren großen Rucksäcken, wie einhöckrige Kamele. 

Im Gegensatz zu ihnen muss ich nichts über meinen wasserdichten Rucksack überziehen und kann so einen großen Teil meiner Menschenwürde bewahren. Mit einer leichten schwarzen Sack-Regenjacke und Hygienebeuteln anstelle von Handschuhen vertrete ich eher den Stil eines Mülleimers und erinnere so jeden mit Würde an die Wichtigkeit des Konzepts «Leave to trace, carry your own trash» :))

Wie viele Kilometer muss ein Mensch laufen, um sich selbst wieder zu mögen?

Es regnet immer noch – es pisst – und ich singe alle Lieder, die ich auswendig kenne. Blauäugiges Mädchen, setz dich nicht an den Bach … Das ist gerade heute der beste Rat aller Zeiten! Es regnet, es regnet, es schüttet … Nur für den Fall, dass ich es vergessen habe. (dieser Absatz ist vor allem für die Kenner der tschechischen Kinderlieder lustig) 

Und dann mein Lieblingslied, Les Champs-Elysées von Joe Dassin:
Je m’baladais sur l’avenue
le cœur ouvert à l’inconnu
j’avais envie de dire bonjour à n’importe qui
n’importe qui, ce fut toi
je t’ai dit n’importe quoi
il suffisait de te parler pour t’apprivoiser

(Übersetzt es bitte selbst :)

Und auch Bob Dylan: How many roads must a man walk down … Wie viele Kilometer muss ein Mann gehen, um sich selbst wieder zu mögen? Für mich war es die Hälfte des Trails, also nur etwa vierhundert Kilometer !!

Ich merke, dass mir der Regen nichts ausmacht, ich singe laut im Regen und freue mich nach wirklich langer Zeit wieder auf das Neue, das Unerwartete und Unbekannte. Country roads, take me home to the place I belong … mischen sich immer zwar noch ein … ABER STILLE JETZT !! Ich habe kein Zuhause, niemand wartet dort auf mich, also werfe ich mit etwas Gewalt Je me baladais sur l’avenue, le cœur ouvert à l’inconnu in meine innere Juke-Box (Hiker-Version der Übersetzung: Ich laufe auf dem Trail mit dem Herzen offen für das Unbekannte und freue mich auf unerwartete Abenteuer, auch wenn dabei mein Schlafsack nass werden, der Gas und das ganze Essen mir ausgehen sollten).

Ich trockne

Am Nachmittag halte ich am Refugio De Saboredo, wo ich mein Versprechen breche und ein Omelett esse. Mir ist kalt und ich brauche eine Extraportion Energie, auch wenn es mir ein Loch in den Darm reisst. Ich bleibe etwa eine Stunde lang da, um wenigstens das völlig durchnässte Zelt ein bisschen zu trocknen. Denn ich habe vor, heute zum Port de la Bonaigua Pass zu kommen und dort zu biwakieren. Die Cumulus Nimbus sind immer noch an der Macht und es sieht ganz sicher noch nicht nach einer Revolution aus, und abends in ein durchnässtes Zelt schlafen zu gehen, ist wirklich ein unvergessliches Erlebnis, von denen ich in meinem Leben so wenig wie möglich haben möchte. Also sitze ich in einem kühlen Refugio, beobachte die Wand, trockne das Zelt und verdaue das Omelett.

Überschwemmung oder roter Teppich

Einen großen Teil des Trails mache ich heute auf der GR11. Das ist sicher einer der Gründe, warum hier so viele Menschen unterwegs sind, abgesehen von dem nahe gelegenen Parkplatz und den zahlreichen bemannten Schutzhütten. Die GR ist überschwemmt, aber sie ist auch so bequem, dass ich mich darauf selbst bei Hochwasser wie in einer mit flauschigen Kissen ausgekleideten Kutsche fühle, die auf einem roten Samtteppich fährt und weiche Wölkchen anstatt Räder hat.

Die Hand der Prinzessin und ein halbes Königreich dazu

Ich denke darüber nach, wie praktisch es ist, das Leben mit Humor zu nehmen, und bin stolz auf meine Fantasie von einer schmutzigen Prinzessin, die ihre Hand (mit Müllsäcken anstatt Handschuhen) und ihr halbes stinkendes Königreich demjenigen gibt, der ihr einen Teller mit Sandwiches und einen heissen Kaffee mit Milch und Zucker zubereitet, und sie in einer Wölkchen-Kutsche über den überschwemmten Trail fährt.

Doch so WIRD DAS ARME MÄDEL NIE HEIRATEN !!

Dann überlege ich mir auch, inwieweit Ironie toll ist und ab wann sie zu einer schlechten Eigenschaft wird. Ich bin mir der Antwort überhaupt nicht sicher und werde weiter darüber nachdenken.

Pyrenäische Arktis

Jedenfalls, als ich an meinem heutigen Ziel ankomme, verlässt mich jeglicher Humor. HIER SOLL ICH HEUTE SCHLAFEN ?? Die Sichtweite beträgt etwa zwei Meter, es regnet, es weht ein fieser Wind und es ist kalt genug, um … ENDE. Humor und Kreativität sind von hier bereits lieber geflüchtet und mit ihnen alle meine tollen Ideen für nicht immer lustige, dafür aber einzigartige Parallelen :))

Hier biwakiere ich auf keinen Fall, denn dann könnte ich mich genauso gut für immer von euch verabschieden, oder mich in eine Tiefkühltruhe legen. Da gäbe es wenigstens keinen Wind !! Port de la Bonaigua ist ein Skiort und ein beliebter Bergpass für Motoristen. Es gibt hier zwei Hotels, aber beide sind nach der Saison bereits geschlossen. Das ist mir aber total egal !! Ich gehe zum ersten und bin fest entschlossen, mindestens eine nicht zugesperrte Tür zu finden, ein Fenster einzuschlagen oder ein Schloss zu knacken, denn ich werde nicht draußen schlafen, selbst wenn ich die Hand des besten Prinzen angeboten bekomme !!

Estanh Mòrt – Port de la Bonaigua / 13.2 km / +741 m / -865 m

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