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Kdo jsem

HRP - Tag 31

Zero Day, den ich nicht wollte

06.9.2024

Die Gruppe Raf & Co. war gestern Abend fest entschlossen, heute früh aufzustehen. Umso überraschter bin ich, wenn ich die erste bin, die aufsteht. Versuche, früh loszulaufen, habe ich bereits vor langer Zeit aufgegeben und seitdem ich mich nicht mehr dazu zwinge, bin ich manchmal wirklich früh auf den Beinen.

Ich packe alles zusammen, warte auf die anderen und stehe lange Zeit am Fenster, beobachte das schlechte Wetter und zögere. Es regnet, der ganze Himmel ist bedeckt und die Wolken oben in den Bergen ziehen schnell über den Himmel – es ist windig dort oben. Der Wetterbericht sagt für heute immer noch Windgeschwindigkeiten von über hundert Stundenkilometern voraus, und der Blick aus dem Fenster lässt vermuten, dass er Recht hat. ICH ZÖGERE, und diese Unentschlossenheit führt zu einem wachsenden Gefühl der Frustration.

Die Mitglieder der aufgepumpten Gruppe motivieren sich gegenseitig und überzeugen sich, dass alles gut gehen wird. Sie ziehen alle ihre Schutzkleidung gegen Regen, Wind und Kälte an und sehen aus, als würden sie sich auf eine letzte wichtige Mission begeben, um die Welt vor einer Zerstörung zu retten, von der sie wahrscheinlich nie zurückkehren werden. Ich beobachte sie und zögere weiter, wobei meine Frustration unangenehm hohe Werte erreicht. Irgendwann halte ich den inneren Konflikt nicht mehr aus und er bricht aus mir heraus: «Guys, I am not going.» Ich gehe heute nirgendwo hin.

Die Stürme – der äussere elementare und der innere emotionale – bringen mich fast zum weinen, aber ich weiss, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Denn alle meine bisherigen Erfahrungen in den Bergen schreien mir zu, dass es eine wirklich dumme Idee ist, heute auf einen Pass und ein Hochplateau auf zweieinhalb Tausen Metern zu gehen. Und ich höre ihnen zu, ignoriere sie nicht und gebe ihnen Recht, auch wenn das bedeutet, dass ich diese sympathische Gruppe nicht wiedersehen werde.

Wir verabschieden uns, die anderen gehen mit versteckter Unsicherheit im Gesicht fort, und ich lasse mich für den Rest des Tages auf meinem Sessel unter der Decke nieder. Ich werde hier allein sein, der Wächter geht zu einem Vorstellungsgespräch und wird erst am Nachmittag zurück sein. Ich verspreche ihm, alle verrückten HRP Wanderer, falls sie in seiner Abwesenheit vorbeikommen, zu begrüssen und zu beherbergen.

Ich ärgere mich ein wenig darüber, dass ich diesen ungewollten Zero Day an einem Ort wie diesem verbringe. Alles ist schmutzig, es ist kalt hier und es herrscht ein allgemeiner Mangel an Liebe. Ich vertreibe dieses Gefühl und sage mir, dass ich wenigstens Zeit haben werde, neue Artikel für euch auf den Blog hochzuladen.

Während des ganzen Tages kommen zwei Herren aus der Gemeinde, um hier etwas zu messen, Estelle, eine Französin, die die HRP in die entgegengesetzte Richtung geht, ein aufgeblasener Schweizer und ein schüchterner Franzose, der kein Wort Englisch spricht, die Hexatrek gehen, ein egoistischer Franzose und zwei schottische Brüder, die hier eine Woche Urlaub machen. Ich mag Estelle und die Schotten sehr, die anderen überhaupt nicht.

Ich weiss nicht, ob es an meiner heutigen schlechten Laune liegt, aber wie sie sich (un)männlich hervortun und sich gegenseitig egoistisch ihren Testosteron aufzwingen, geht mir auf die Nerven. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier auf dem Trail merke, an welchen Menschen ich in meinem Leben wirklich kein Interesse mehr habe. Oder vielleicht bin ich zu hart zu ihnen, verstehe sie nicht, sollte ihnen gegenüber emphatischer sein und versuchen, mich in sie einzufühlen? Auch wenn sie mich nicht einmal nach meinem Namen gefragt haben? 

Heute entscheide ich mich für mich, gebe meiner emotionalen Reaktion Recht und nehme an der Diskussion nicht teil, wer den besseren Kocher hat und wer mehr Kilometer gelaufen ist. Stattdessen unterhalte ich mich mit den schottischen Brüdern und geniesse ihren genialen britischen Humor, bereichert mit ihrem sehr sexy schottischen Akzent.

Abendessen

Der Tag kann auch durch das Abendessen nicht gerettet werden, das wir uns heute alle vom Wächter zubereiten lassen. Er bringt zwei kleine spanische Tortillas für sieben Personen, dabei könnte ich allein eine ganze als Vorspeise essen !! Die ganze Zeit überlege ich, ob ich ihm sagen soll, dass er uns mehr Essen bringen soll, denn ich habe immer noch Hunger. Aber ich sage nichts und bin dafür sehr unzufrieden mit mir selbst.

Anstossen

Nach dem Abendessen lädt mich der Wächter in die Küche ein, um mit einem einheimischen Likör anzustossen und mir dafür zu danken, dass ich mich den ganzen Tag um sein Refugio gekümmert habe. Wir sitzen da, nippen langsam an unseren Gläsern und reden. Nach einer Weile geschieht genau das, was ich befürchtet habe und woran ich mit ihm wirklich kein Interesse habe.

Der Wächter zieht seinen Stuhl näher an mich heran. Ich rücke ein Stück weg. Er schiebt sich wieder näher und legt seine Hand hinter meinem Rücken auf die Lehne. Ich schiebe mich wieder weg, stehe dann auf, gehe zur Tür, bedanke mich für den Aperitif und sage ihm, dass ich ins Bett gehe. Er steht ebenfalls auf, geht zu mir hinüber und sagt mir, ich kann bei ihm im Zimmer schlafen, wenn ich will. Ja, danke für die Erklärung, denn daran habe ich bis jetzt noch gar nicht gedacht.

Es tut mir leid, dass es so endet und dass der Wächter alle meine NEIN bis zum Schluss als JA übersetzt hat. Es ist nicht meine Schuld. Ich gehe ziemlich mürrisch schlafen und hoffe, dass sich das Wetter über Nacht genug beruhigt, damit ich so schnell wie möglich von hier wegkomme. Denn ich bin schon zu lange hier geblieben.

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