Ich schlief in einer vollkommen ruhigen Nacht mit sehr vielen Sternen am Himmel ein. Dann wachte auf zu einem starken, zeltbrechenden Wind. Die Sterne waren immer noch da, als ob sie gar nicht an der Szene beteiligt wären. Ich baute mein Zelt so auf, damit ich eine schöne Aussicht hne :) Leider hat der Wind kein Interesse an meinen Absichten, das Zelt direkt am Col auch nicht und es weht so stark von der Seite, dass ich Angst habe, dass die ultraleichte Plane nicht halten wird.
Meine Untersuchungen um das Zelt herum wecken Simon, der nebenan schläft, wir schauen es uns eine Weile an und gemeinsam tragen wir das Zelt etwa 20 Meter weiter in den Windschatten (HAHA, das habe ich wirklich gedacht) und drehen es so, dass es dem Wind so wenig Widerstand wie möglich entgegensetzt. Wenn ich in diesem Moment gewusst hätte, was noch auf mich zukommt, wäre ich SOFORT BIS INS TAL ABGESTIEGEN. Das ist das Problem mit Entscheidungen treffen – erst im Nachhinein stellt sich heraus, ob es eine kluge Entscheidung war oder eine VÖLLIG DUMME. Und manchmal ist es wirklich SCHWER zu wissen, welche Option es sein wird.
Seit dem Haus-Umzug habe ich NICHT MEHR geschlafen. Der Wind wurde immer stärker und änderte die Richtung, so dass er wieder seitwärts zum Zelt blies. Er riss meine Mittelstange von links nach rechts und das Zelt ohrfeigte mich. Wahrscheinlich weil ich naiv und vertrauensvoll bin, statt mein Gehirn einzuschalten und umzuziehen. Von 3:30 bis 6:30 hielt ich die Stange mit der Hand oder saß und stabilisierte das Zelt mit meinem eigenen Gewicht.
ES WAR EINE DER GRAUENHAFTESTEN NÄCHTEN MEINES LEBENS, und sie war nicht ohne Verlust. Mein Fußboden flog weg, aber ich fand ihn am nächsten Morgen wieder auf einem “Gestell” – am Gebüsch. Simons Schlafsack flog weg und er fand ihn auf ähnliche Weise wieder. Leider hat das Zelt jetzt ein LOCH, durch das ich meine ganze Hand stecken kann. Nachts war das praktisch, so konnte ich wenigstens die Stange festhalten :)) Aber jetzt mag ich es nicht mehr so sehr.


Ich habe alle meine Sachen gepackt, während ich noch im Dunkeln saß und das Zelt festhielt, damit ich im Morgengrauen aufbrechen konnte. Die Jungs taten das auch und gegen 6:30 Uhr gingen wir gemeinsam los.

MEIN KÖRPER FUNKTIONIERT NICHT, ihm fehlt die Energie, die er letzte Nacht nicht aufgetankt hat. Nach einer Weile trenne ich mich von den Jungs, koche mir Frühstück und suche im Internet nach einer Unterkunft im Dorf, wo ich absteigen will. Es wird sozusagen ein halber “zero day”. Unterwegs treffe ich ein französisch-schweizerisches Paar, das sehr nett ist. Mir gefällt, dass Thomas nur in Unterhosen und mit roten Pflastern in der Leiste läuft, wegen Abschürfungen, die ihm weh tun, und dass es ihm egal ist, was die anderen über ihn denken. Wir gehen gemeinsam bis zur Abzweigung und unterhalten uns gut, dann gehen sie auf dem Trail weiter und ich laufe dem spanischen CAMINO entlang hinunter.



In Roncesvalles gehe ich essen. Ich bin absolut ERSCHÖPFT. Ich esse ein dreigängiges Pilgermenü und ESSE ALLES AUF. Wahrscheinlich wird es mir gleich schlecht, aber das ist mir egal :)) Dann checke ich in der Pilgerherberge ein, warte im Schatten an einen Baum gelehnt auf mein Bett, gehe um 14 Uhr ins Bett und schlafe zweieinhalb Stunden. Das Lachen und Reden der anderen Pilger stört mich nicht, ich habe einen totalen shut down.


Nach dem Schlafen wache ich auf wie Schneewittchen nach einem Kuss, gehe zu den Nachbarn, um sie um Nadel und Faden zu bitten und das Zelt zu reparieren. Die Leute sind SCHON WIEDER so freundlich! Jetzt sitze ich in einer Bar, trinke Kaffee mit Milch und einem grossen Eiswürfel und eine Cola. Beim Bezahlen plaudere ich mit dem Kellner und frage, ob sie ein ganz kleines Bier haben, und ich bekomme wirklich eins. ES MACHT MIR SPASS hier! Wenn ich den Artikel fertig habe, gehe ich weiter schlafen. Morgen früh gehe ich wieder zum Trail.


Col Nahala – Roncesvalles / 9.7 km / +332 m / -321 m