Aufgrund meiner gestrigen Angst gibt es heute kein Frühstück ins Bett. Stattdessen schliesse ich mich zwei etwa fünfzig jährigen spanischen Motorradfahrern an. Ich spreche kein Spanisch und sie kein Englisch, aber wenn ich ihnen ein Bild meiner Eltern in Motorrad-Kleidung zeige, sind wir sofort Freunde. Einer von ihnen ist mit einer Vespa hier! Sie bieten mir an ihr Frühstück mit mir zu teilen, Eier und gebratenen Speck. Ich sabbere zwar richtig, lehne aber höflich ab. Ich denke nämlich nicht, dass sie verstehen, welche Mengen ich hier fressen kann, und möchte nicht, dass sie ihre Gastfreundschaft bereuen und hungrig wegfahren. Sie haben aber auch Kaffee, und den nehme ich gerne.
Sie fragen, wohin ich gehe, und ich erkläre, dass ich 800 km zu Fuss durch die Pyrenäen laufe. Sie antworten mit einem Wort: JODER. Jep genau, joder. Ich stimme zu :))
Um 8:00 Uhr laufe ich los und draussen scheint die Sonne. ICH SEHE, WIE ES HIER AUSSIEHT !! Der Trail führt heute durch ein Karstgebiet in einem Naturpark. Aber zuerst muss ich hinkommen – durch einen Wald. Durch den Wald, wo die Sonne erst unsicher durch die Bäume schimmert, also gibt es hier … Schlamm. Es gibt so viel davon, dass ich mich wie an einem tschechischen Bauernhof fühle. Nach einer kurzen Weile komme ich aber aus dem Wald heraus, betrete den Naturpark und von nun an ist alles nur noch schön.
Naturpark
Ich bin so froh, dass der kalte Wind nicht mehr weht und es nicht regnet! Die Landschaft hier ist so niedlich, dass ich mich nach Hobbits umschaue. Nach drei Tagen kann ich mich endlich von dem schlechten Wetter erholen !! Ich überquere den ersten Pass über 2000m, dann steige ich ein Stück hinunter zur Quelle des Flusses Marmitou. DIESER ORT! Ich setze mich hin und esse zu Mittag in einem weiteren PARADIES der Pyrenäen. Dieser Ort sollte SCHÖNHEIT UND FRIEDEN genannt werden.
Lescun
Ich steige ganz hinunter ins Tal zum Endpunkt des zweiten Abschnittes – dem Dorf Lescun. Hier gibt es wieder mal einen Laden und ich kaufe Lebensmittel für die nächsten Tage. Zur sofortigen Befriedigung esse ich eine ganze Schachtel Pringles, trinke einen Kaffee und esse einen baskischen Kuchen mit Kirschfüllung, von dem ich gehofft hatte, dass es ihn irgendwo geben würde.
Im Dorf ist gerade ein Markt mit verschiedenen Essensständen und vielen Menschen. Normalerweise habe ich solche Dorffeste sehr gern, aber jetzt meldet sich die EINSAMKEIT. Alle sind hier mit ihren Freunden, Familien und Kindern, und ich bin hier alleine. Alle Kinderwagen und Babys schreien mich an WIR SIND HIER ZUSAMMEN UND DU BIST HIER ALLEIN und nerven mich dermassen, dass ich meine Sachen packe und weiterziehe. Ich starte in die nächste Etappe, mit meinem mit Essen gefüllten Rucksack, der schon wieder SCHWER WIE EINE KUH IST.
Alte Häuser
Ich gehe an einigen schönen alten Häusern vorbei, die sehr abgelegen stehen. Ich habe Lust, mich in einem davon niederzulassen, hier ein Buch zu schreiben, ein Kind zu zeugen und zu gebähren. Ich würde mit dem Kinderwagen ins Dorf spazieren, um Kaffee zu trinken und baskischen Kirschkuchen zu essen, und alle Solo-Wanderer würde ich zu uns zum Abendessen einladen. Sie könnten im Garten zelten, und ich würde die kleinen Zwergziegen züchten, damit die einsamen Wanderer sie streicheln können.
Biwak
Etwa 500 Höhenmeter steige ich hinauf zum Col de la Pau und stelle das Zelt bei einer halb verfallenen Notunterkunft auf. Fette Murmeltiere rennen über die Wiese an mir vorbei und beim Einschlafen bekomme ich einen furchtbaren Schreck, denn eine Maus krabbelt in den Mülleimer, den ich an den Dachbalken der Hütte gehängt habe, und lässt den ganzen Sack auf den Boden fallen. Mit der Stirnlampe schaue ich, was hier los ist, und lasse die Maus machen, was sie will. Ich stecke Ohrstöpsel in die Ohren und schlafe.
Refugio Belagua – ca. 5 km nach Lescun / 27.6 km / +1379 m / -1353 m
