Einsamkeit. Ich habe in einem Buch gelesen, dass jeder Mensch tief im Inneren weiß, dass er allein, ohne die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, nicht überleben kann. Aus diesem Grund haben wir schon in prähistorischen Zeiten eine Gesellschaft gebildet – schon damals erkannte der Mensch, dass er nicht Tag und Nacht sein Feuer bewachen und das Mammut nicht allein jagen konnte, und er begann, sich in Gruppen mit anderen Menschen zusammenzuschließen. Die Arbeitsteilung und die Notwendigkeit, sich auf die Fähigkeiten anderer zu verlassen, die wir selbst nicht besaßen, haben bereits damals begonnen. Unser Gehirn war schon immer so programmiert, weshalb wir Einsamkeit so unerträglich finden. Denn sie erzeugt in uns eine grundlegende Angst, dass wir allein nicht überleben werden.
Aber heute ist unsere Existenz nicht mehr von so etwas Einfachem wie einer Höhle als Unterschlupf oder einer wetterbedingten Ernte abhängig. Wir kaufen unsere Lebensmittel bequem im Supermarkt und für eine Wohnung zahlen wir einfach Miete. Wir können unsere Grundbedürfnisse, etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf, befriedigen, ohne auf andere angewiesen zu sein. Alles, was wir dazu brauchen, ist unser Portemonnaie.
Ich bin allein, also sterbe ich?
Theoretisch können wir also überleben, auch wenn wir uns auf uns selbst verlassen. Aber dann meldet sich EINSAMKEIT. Diese uralte Angst sagt uns, dass wir den Kontakt zu anderen brauchen und ohne ihn nicht auskommen können. Wir sind soziale Wesen. Wir können nicht ohne den Kontakt zu anderen Menschen auskommen. Wir werden nicht GLÜCKLICH sein, wir werden nicht überleben. Was tun wir also, wenn unser Gehirn uns sagt, dass wir Angst haben sollen, wenn unser Partner mit uns Schluss macht, eine Freundin seit Monaten keine Zeit für uns hat, wir wegen der Arbeit für sechs Monate verreisen müssen oder wir vielleicht nur allein ins Kino gehen, weil wir schon ein Ticket haben und unsere Begleitung krank ist? In diesem Moment schreit uns unser Gehirn an: «Du wirst für immer allein sein! DU WIRST ES NICHT SCHAFFEN! Du wirst sterben!» Na, schrecklich.
Meine Angst vor dem Alleinsein kann sich manchmal mit solcher Dringlichkeit ankündigen, dass sie mich völlig blockiert und ich fange an, mich so zu benehmen, als stünde mein Leben wirklich auf dem Spiel. Wobei es vielleicht nur darum geht, dass mir jemand gesagt hat, ich sei ein dummes Miststück. Das beleidigt mich so sehr, dass ich die Person in diesem Moment lieber steinigen möchte, anstatt zu versuchen zu verstehen, was sie meint, was ich getan habe, um sie so wütend zu machen, oder dass es gar nicht an mir liegt, dass sie sich wie ein Idiot verhält. Da ich normalerweise keine Steine bei mir habe, mache ich das verbal. Und da kann ich ganz grosse Steine ziemlich gezielt werfen.
Einsamkeit!
Ich mag es nicht, so ängstlich zu sein. Denn ich glaube, dass die Angst – von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenn mein Leben wirklich auf dem Spiel steht – nicht auf meiner Seite ist, sondern GEGEN mich spielt. Wenn ich in den Bergen von einer randalierenden Kuh gejagt werde, die ihr Kalb verteidigt, dann GEHT es mir ums Leben, und wegzulaufen ist definitiv die bessere Lösung, als mich mutig der Kuh zu stellen. Denn im Gegensatz zur Kuh habe ich keine Hörner, mit denen ich sie erschrecken oder bei einem Aufprall in sie hineinstechen kann. Aber wenn jemand in einem Konflikt seine Stimme gegen mich erhebt, bedeutet das nicht, dass ich sterben werde. Ich habe dabei aber genauso viel Angst, wie wenn die Kuh mich verfolgen und ich ihr mit einem roten Schal zuwinken würde!
Wenn mir meine Kinobegleitung absagt und ich dann im Kino eine Krise bekomme und vier Portionen Popcorn in mich hineinstopfe, weil ich ALLEIN IM KINO bin, was schrecklich ist!, sterbe ich auch nicht dabei! Keine bösen Zwerge oder Trolls springen auf mich von der Leinwand, ich werde auch von keinem Gangster mit einem Baseballschläger erschlagen. Wovor habe ich denn Angst, wenn ich nicht in Gefahr bin?
Mein Gehirn bombardiert mich in diesem Moment mit Signalen, dass ich allein im Kino bin, dass der Konflikt gefährlich ist und wenn ich etwas Falsches sage, wird mein Partner mich verlassen und ich werde allein sein, und allein kann ich es doch nicht schaffen, allein überlebe ich nicht. Aber MEIN GEHIRN IST FALSCH, denn es gibt KEINE wirkliche Gefahr.
Also habe ich beschlossen, mein Gehirn umzuprogrammieren :) Ich weiß, dass ich Angst vor der Einsamkeit habe. Aber meine Angst ist unbegründet, und sie nützt mir nichts. Ich weiß, dass ich Angst davor habe, sechs Wochen lang allein in die Berge zu gehen und dabei die Pyrenäen zu überqueren. Ich werde dort allein sein, ich werde mich nur auf mich selbst verlassen müssen. Ich werde allein laufen, allein essen, allein schlafen. Ich habe Angst, dass mich BESTIMMT die ganzen Pyrenäen mit riesigen Steinen bewerfen, der Wind mein Zelt zerreißen und der Regen literweise Wasser in meinen Schlafsack einschütten wird. Na, und genau deswegen gehe ich ja auch hin.